Mittwochs-Blog: Warum schreibt man(ich)?

by Toshio Riko

Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht so genau. Warum schreiben Menschen sich die Seele aus dem Leib und bringen es auf ein Blatt Papier (oder auf einem Pixel auf ihren Bildschirm). Welchen Reiz verspürt man, wenn man seiner Fantasie freien Lauf lässt, A, und B, diese Fantasie dann auch noch mit anderen Teilen möchte in Form eines Buches?

Ich kann mich noch gut daran erinnern, na ja, fast, wie ich meiner Fantasie habe freien Lauf gelassen, das war in der Grundschule, 1. Klasse. Wir sollten immer zur neuen Woche unsere Erlebnisse der Vorwoche aufschreiben. Dass ich da schon eine lebendige Fantasie hatte, wurde auch meiner Lehrerin schnell klar. Mag sein, dass ich als kleines Kind da etwas geflunkert habe, aber ich wollte unbedingt mehr erzählen, als es zu erzählen gab. Vielleicht hätte man das von Anfang an mehr fördern sollen. Auch einen Aufsatz in der 3. Klasse habe ich nicht nach den Regeln verfasst, sondern habe einfach Sätze, die mir in den Sinn kamen und eigentlich keinen richtigen Zusammenhang hatten, aufgeschrieben. Das war natürlich nicht in Ordnung und ich bekam eine 6. (Wir fangen mal nicht die Diskussion an, wie abwegig ich es finde, kleinen 8-jährigen Kindern bereits mit Noten zu beurteilen und zu vergleichen, um Druck aufzubauen.) Aber mich haben Noten noch nie so wirklich interessiert:

Meine allererste Note war auch eine Deutschnote. Es war ein Diktat. Ich hatte bestimmt dreißig Fehler gehabt (Schreiben nach Gehör sei Dank, was für eine katastrophale Idee, das an Kindern auszuprobieren!) und entsprechend dieser Fehler auch eine glatte 6 kassiert. Ich war frische 8 Jahre alt geworden. Meine Deutschlehrerin (Frau Hohmann, ich nenn sie mal beim Namen, ist ja eh egal) schien auf jeden Fall gerne mich abzuwerten. Das wurde dann auch meiner Mutter am Ende sehr deutlich, als sie A: Mir eine 4+ im Zeugnis gegeben hatte, statt der 3-, mit der Begründung, es klänge ja besser. Und als wir dann die Schule verlassen haben, bekam ich meine Hauptschulempfehlung, die sie meiner Mutter mit folgendem Satz ins Gesicht klatschte: „Also ich würde mir das ja für mein Kind nicht wünschen.“

Wir überspringen mal die undankbare Zeit in der Gemeinschaftsschule in Hamburg und kommen direkt zu meiner Schule auf dem RBZ, wo ich nach einer erfolglosen Ausbildung meinen Realschulabschluss absolviert habe (Fachrichtung Wirtschaft). Meine zweite Deutschlehrerin hat endlich mal mein Potenzial erkannt, so ihre Worte, und war NICHT enttäuscht, wenn meine Aufsätze mal ausuferten, zu sehr ins Detail gingen oder ich auch mal nicht nach den Regeln schrieb. Sie lobte es, förderte mich, gab mir mehr Tipps, statt mich mit einer schlechten Note zu bestrafen. Am Ende bekam ich, wie in Politik, meine glatte 1. Aber wie gesagt, Noten sind mir egal. Ich hätte einen besseren Schnitt haben können (1,9 statt 2,0), wenn ich zur mündlichen Prüfung in BWL gegangen wäre. Aber mir war das egal, ich war so, wie es war, zufrieden.


Aber wie hängt das jetzt damit zusammen, dass ich schreibe? Ich glaube, es ist für mich ganz persönlich, eine Form von Realitätsentzug. Ich bin beim Schreiben nicht mehr in der Welt, die nicht nur selten mal einen bis in die Knie zwingt, seine eigene Pisse zu trinken. Ich bin in der Welt, die mir gefällt, die ich gestalten kann. Ich kann Menschen beobachten und sehen, ihre Entscheidungen lenken und beobachten, wie ihre Entscheidungen Konsequenzen tragen.

Natürlich ist es so, wenn ich schreibe, dass ich für die Konsequenzen verantwortlich bin. Aber so fühlt es sich nicht an. Mehr wie ein: Ich bin der Charakter, und die Konsequenz entsteht völlig durch Zufall. Als hätte ich keine Kontrolle darüber. Ich weiß gar nicht, was ich mir alles vorgestellt habe, was in meinem aktuellen Buch, an dem ich schreibe (Forget Home), passieren könnte oder sollte, es aber doch gänzlich anders kam. Manch anderer Autor mag sich nur wie ein Beobachter fühlen, manch anderer spielt Gott und plant jeden Schritt, jedes Wort und jede Konsequenz bis ins kleinste Detail vor.

Ich für meinen Teil sehe mich weder als Beobachter noch als Gott. Ich bin, je nach Kapitel, der Charakter, den ich schreibe, versuche mich in ihn hineinzufühlen, lasse meine Empathie meine Gefühlswelt kontrollieren und sehe dann, wie die Außenstehenden darauf reagieren.

Das ist für mich das Faszinierende am Schreiben. An dem aktuellen Kapitel, an dem ich „werkle“, bin ich selbst so sehr gefesselt, als wäre ich der Leser und nicht der Autor, der eh weiß, was passiert. Und das ist ja der Clou, ich weiß nicht, was passieren wird. Mein Charakter hat ein Ziel, ja, aber was wirklich passiert, kann weder ich noch er steuern. Wir sind nur Opfer des Zufalles, Geknechtete des Schicksals.

Mehr weiß ich zu dem Thema nicht zu sagen. Nächstes Mal können wir uns ja der Frage widmen: Wer sollte ein Buch schreiben? Das könnte interessant werden.

 

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